Wednesday, September 24, 2014

Hüttenwanderung in der Hohen Tatra

Diesen September verschlug es mich mit meinen Mitstreitern Kristin und Georg in die Slowakei. Dort erwartete uns das Gebirge der Hohen Tatra für eine viertägige Hüttenwanderung.
Der uns in den Schlaf wiegende Nachtzug fuhr uns von Prag direkt nach Poprad südlich der Tatra, von wo aus wir uns auf die ca. 40 Kilometer lange und fast 3000 Höhenmeter nach oben führende Tour begaben.

Tag 1:
Ganz in der früh und von der aufgehenden Morgensonne begleitet erreichten wir Poprad, von wo aus wir die elektrische Tatrabahn in Richtung Strbske Pleso nahmen. Dieses Örtchen war jedoch als Zielpunkt unserer Wanderung eingeplant, wir stiegen bereits in Stary Smokovec aus. Zu diesem Zeitpunkt hat der Kirchturm noch nicht einmal 8 Uhr geschlagen, dennoch begaben wir uns direkt auf unsere Etappe, die uns über die die Hrebienok-Hütte und durch alle vorhandenen Vegetationszonen der Tatra auf 2000 Meter über Normalnull bringen sollte. Der kontinuierliche Anstieg über 1000 Höhenmeter war gesäumt von umgefallenen Bäumen (einem Orkan vor zehn Jahren geschuldet), Wasserfällen, Geröllfeldern und einem steilen Schlussanstieg zur Téryho-Hütte, die uns als Quartier für die erste Nacht diente. Der Regen am Schlussanstieg sollte uns auf das einstellen, was uns am dritten Tag erwartete. Dazu aber später mehr...
Durch den zeitigen Start waren wir bereits am sehr zeitigen Nachmittag an der Hütte, sodass wir uns ausgiebig dem Ausruhen, Krautsuppe essen, Tee trinken, Landschaft fotografieren und Skat spielen widmen konnten. Vor allem das Letztere wurde zum steten Zeitvertreib in den Hütten, nur manchmal unterbrochen von Idioten-Maumau oder die Abwandlung Idioten-Uno. Je später der Tag, desto mehr Wolken zogen vom Tal in die Berge. Die graue Suppe inklusive Regen verhieß für den nächsten Tag erstmal nicht viel Gutes, also hieß es Abwarten und Tee trinken. Die Hütte war von der spartanischen Sorte. Kunstlicht gabs erst, als man drinnen schon fast nix mehr erkannt hat; der Wasserdruck aus dem Wasserhahn schwankte zwischen "Fürs Gesicht waschen reichts" und Null. Den Eimer für die Klospülung sollte man auf jeden Fall schon vor dem Gang unter den Wasserhahn gestellt haben. Eine Dusche war sowieso nicht vorhanden. Die Nacht war auszuhalten, aber die drei schnarchenden Mitbewohner des Sechs-Mann-Zimmers hielten einen doch immer mal wieder auf Trab.



Tag 2:
Die nassen Klamotten vom Vortag trockneten einigermaßen gut über die Nacht, sodass wir uns nach einem spartanischen Frühstück wohl als erste auf die nächste Etappe machten. Es warteten ebenfalls 1000 Höhenmeter auf uns, aber in einem merklich anderen Profil. Georg hatte einen Weg über drei Sättel herausgesucht, der sehr viel Abwechslung zu bieten hatte. Der dichte Nebel des Vortags war zwar am Morgen bis zum ersten Sattel steter Wegbegleiter, dennoch blieb es den ganzen Tag trocken, die meiste Zeit war der Kampf Sonne gegen Wolken vom Erfolg der Sonne gesegnet.
Von der Hütte aus gab es zwar nur einen Pfad hinauf zum ersten Sattel, der war auf Grund des Nebels und der Schlaftrunkenheit aber recht schwer zu identifizieren. Irgendwann haben wir es dann hinbekommen. Die ersten Höhenmeter aus der Kalten hatten es schon schwer in sich, jedoch wurde das noch vom Endstück bis hinauf zum Sattel getoppt. Hier erwarteten uns eiserne Steigbügel und Ketten, eine ganz schöne Herausforderung mit schweren Wanderstiefeln und großem Rucksack hinten drauf! Zudem war ja eigentlich von Wandern die Rede, nicht Klettern... Mit leicht weichen Knie und den Blick am besten immer nach oben gewandt erreichten wir dann den Sattel. Glücklich und zufrieden und mit Aussicht auf den blauen Himmel verschnauften wir eine Zeit lang am Sccheitelpunkt. Inzwischen überholten uns dann auch schon einige Späterstarter, darunter eine Gruppe bergerfahrener Tschechen, deren Tempo wir nie und nimmer halten wollten. Nichtsdestotrotz trafen wir uns etwas talabwärts an einem traumhaft gelegenen See zur Rast wieder. Das kristallklare blaue Wasser verführte zu einem kurzen Fußbad, dessen Temperatur zum sofortigen Abbruch der Aktion.
Über eine landschaftlich reizvolle Hochebene gelangten wir dann zur Räuberhütte, in der wir uns mit einem Zuckergebräu namens Tee aufwärmten und Ansichtskarten in die Heimat schrieben. Wir zweifelten auf Grund der Abgeschiedenheit daran, dass die Karten jemals ankommen werden. Der heutige Blick in den Briefkasten belehrte mich aber eines Besseren!
Nach dem Zwischenstopp machten wir uns zum zweiten Sattel auf, der zwar immer noch mit einiger Kletterei verbunden war, aber im Vergleich zum Morgen deutlich leichter und schneller zu bewältigen war. An die Überquerung schloss sich ein phänomenaler Blick auf den polnischen Teil der Tatra an, der von einem wunderbar blauen Bergsee und den weißen, sonnenbestrahlten Wolken weit unter uns gekrönt wurde. Mit dieser Euphorie war der letzte Sattel des Tages ein Klacks. Leider wartete dahinter wieder eine Wolken- und Nebelsoße, die aber in Verbindung mit der grüner werdenden Landschaft, den weiteren grün-blauen Seen und den Bergziegen den Eindruck von Tolkiens Mittelerde erweckte. Erschöpft aber glücklich erreichten wir dann nach sechs bis sieben Stunden des Wanderns unser Nachtquartier. Dies zeichnete sich durch seine Größe, dem sozialistischen Baustil und dem noblen Inneren aus. Eine Vier-Sterne-Hütte würde es ganz gut treffen. Der Komfort im Zimmer war nicht von der schlechten Sorte, sodass wir uns ausgiebig auf den Betten ausruhten, eine heiße Dusche nahmen, durchschwitzte Sachen wuschen, mit den Daheimgebliebenen kommunizierten und das ausladende Abendbuffet in angemessener Weise nutzen. Nach weiteren unzähligen Skatrunden fielen wir dann ins Bett. Mit Blick auf den Wetterbericht nahmen wir uns vor, nicht zu zeitig aufzustehen: "Patschnass werden wir sowieso..."




Tag 3:
Vom dritten Wanderabschnitt gibt es nur ganz wenige Fotos, da der Wetterbericht Recht behielt. Nach dem ebenso reichhaltigen Frühstücksbuffet packten wir uns in regenfeste Sachen ein, denn quasi mit dem Verlassen der Unterkunft setzte der Regen ein. Zu Beginn noch recht leicht, nahm dessen Intensität stetig zu. Damit einher ging ein vierstündiges Mentaltrainingsprogramm, dass daraus bestand, über nasse, wackelnde Steine der Tatra-Magistrale zu balancieren, die zehn Meter reichende Sicht zu "genießen", die immer nasser werdende Kleidung am Körper kleben zu haben und sich ganz viele schöne Gedanken zu machen, um nicht die Lust am Wandern durch den Regen zu verlieren. Zum Glück fiel mir das Programm nicht sonderlich schwer, zudem war das Routenprofil an dem Tag sehr dankbar.
Von der Landschaft um uns herum war wie gesagt nicht viel zu sehen und auch für die Anzahl der Mitwandernden reichten zwei Händen. Völlig überraschend begegneten wir aber an diesem widrigen Tag einem Trail-Runner, geschätzte ein bus zwei Stunden von jeglicher Hütte entfernt. Wie der die Kälte (wir verzichteten freiwillig auf jegliche Pausen) mit Shorts, Trägershirt und Regencape überstanden hat, ist mit ein Rätsel!
Als am Schlussabstieg über 500 Meter nach unten der Wasserfall rauschen zu hören war und irgendwann auch die Herberge sich durch den Nebel abzeichnete, war die Vorfreude auf die warme Stube grenzenlos. Idealerweise hatte die Herberge am Popradske Pleso sogar einen Trockenraum, der für uns natürlich wie gerufen kam. Bevor wir aufs Zimmer gingen, entledigten wir uns erstmal der ganzen nassen Klamotten, bevor uns eine warme Dusche aufwärmte und die Gaststube unseren Hunger vertrieb. Die Abendgestaltung war wiederum von Skat und Tee geprägt.




Tag 4:
Für den letzten Wanderabschnitt hatten wir uns ursprünglich vorgenommen, einen letzten Anstieg in Richtung des Rysy-Gipfels anzugehen. Leider hing der Nebel immer noch etwa 100 Meter über uns, sodass die einfache Überschlagsrechnung "100 Meter über uns Nebel + 500 Meter Aufstieg = Definitv bescheidene Sicht" dazu führte, heute hauptsächlich nach unten zu gehen. Auf dem Weg um den See, der direkt vor der Herberge lag, fanden wir noch einen Pfad zu einem symbolischen Bergsteigerfriedhof. Dort befanden sich sehr viele Grabmäler von in der Tatra und auch anderswo abgestürzten Kletterern. Die Ausmaße des Friedhofs lassen einen doch die Gefahr der Kletterei sehr bewusst werden...
Anschließend machten wir uns dann daran, den finalen Abstieg anzugehen. Der Weg führte auf flachem Profil talabwärts nach Strbske Pleso, einem Wintersportort ganz im Westen der Hohen Tatra. Da unser Nachtzug erst um halb elf losfuhr, gönnten wir uns ein leckeres Abschlusseis mit Milchkaffee sowie ein deftiges Abendessen in einer hübschen Umgebung. Der Reigen wurde von einer Runde Obstler abgerundet, bevor wir uns schlussendlich glücklich und doch etwas erschöpft in den Nachtzug über Prag nach Dresden begaben.